Asien hat als Buhmann für Haikonsum ausgedient: 30 Prozent aller weltweit gehandelten Haiflossen kommen aus Europa, alleine die Deutschen konsumieren jedes Jahr 600 Tonnen Haifleisch.
Drei Mitarbeiter von Sharkproject recherchierten im spanischen Vigo, dem größten europäischen Umschlagplatz für Haie – natürlich Undercover, denn Journalisten und Umweltschützer sieht man dort nicht gerne.
Vigo / Spanien Mit quietschenden Rädern stoppt die Hafenpolizei. Zwei Polizisten springen heraus. Sollte unsere Mission jetzt schon gescheitert sein? Ok, man hat uns vor dem Hafen von Vigo gewarnt. Die Fischer, die jeden Morgen gegen 4.00 Uhr mit ihren Longlinern anlegen und tonnenweise ihre vermutlich illegale Ladung löschen, sind misstrauisch gegenüber Fremden und verstehen keinen Spaß, wenn es um ihre Existenz geht. Dementsprechend wird erst gehandelt und dann gefragt.
Man fürchtet sich vor Veröffentlichungen. Ungenehmigte Journalistenbesuche enden meist mit Verhören auf der Polizeiwache und mit Beschlagnahmung der Ausrüstung.
Im Vergleich dazu nahm sich unsere Ankunft im spanischen Vigo ja fast harmlos aus, obwohl der Kapitän des Airbus 320-200 kurz vor der Landung per Bordlautsprecher aus dem Cockpit anmerkt, dass er nicht so sicher ist, ob er den Flieger in Vigo runterbekommt, weil dort ein Sturm tobt. Als Ausweichflughafen plane er Santiago de Compostela. Böen mit Windstärke 9 drücken ganze Bäume an den Boden und die Wipfel peitschen im Sturm. Im Airbus fühlt das sich an wie eine Achterbahnfahrt, gefolgt von einer etwas ruppigen Landung.
Text: Frederike Kremer Obrok
Fotos: Wolfram Koch
Verhältnisse wie in einer Bananenrepublik, das beobachtet Friederike Kremer-Obrock, Präsidentin von Sharkproject Deutschland, schon seit Jahren in Europa. Dank der in einer verdeckten Recherche gemachten Foto- und Filmaufnahmen kann die Organisation nun erstmals mit diesem Thema an die Öffentlichkeit gehen. unterwasser sprach mit ihr über legale und illegale Zustände in Europa und die Notwendigkeit der Aufklärung auf unserem offensichtlich gar nicht so aufgeklärten Kontinent. Hier geht es weiter zum Interview.
Nun sind wir mitten in der Nacht im Hafen und versuchen, nicht aufzufallen. Die zwei Hafenpolizisten stürmen an uns vorbei und verschwinden im Dunkel der Hafenanlagen. Wir reagieren gar nicht und laufen äußerlich tiefentspannt weiter.
Das Ziel dieser Mission Sharkproject: Erkunden des größten Haiumschlagplatzes in Europa.
Vigo liegt in Nordspanien in Galicien an der rauen, regenreichen Atlantikküste. Nicht weit entfernt liegt Santiago de Compostela, der Endpunkt des berühmten Jakobswegs. Aber in dieser idyllischen Region befindet sich auch das Zentrum des gnadenlosen Abschlachtens der großen Räuber des Golfstroms.
30 Prozent aller weltweit gehandelten Haiflossen kommen aus Europa, und Vigo ist einer der Hauptumschlagplätze.
Wir wollen deshalb diesen Ort selbst erkunden. Dazu mischen wir uns mit versteckter Kamera unter die Händler und Fischer, denn neben den normalen Fischen werden hier Hai, Tunfisch und Schwertfisch angelandet. Für den kommenden Tag ist ein Schiff mit Hai an Bord gemeldet, vergleichsweise wenig, legen doch oft bis zu fünf Haifänger gleichzeitig an. Mit Hilfe der avisierten Schiffsnamen können wir über das internationale Schiffsortungssystem, das Automatic Identification System, kurz AIS, das Schiff orten, und so die Angaben unserer Informanten verifizieren. Laut unserer Trackingdaten hat es bereits an der großen Auktionshalle im Hafen festgemacht.
Wie fast alle Schiffe nahm es seinen Weg von den Azoren mitten im Nord-Atlantik hierher in den Hafen von Vigo. Auch das lässt sich anhand der Daten des AIS verfolgen. Das Hafengelände ist zwar offen zugänglich, trotzdem wird es von der Polizei bewacht, Überwachungskameras und Uniformen überall. Private Kameras strikt verboten!
Unsere im Vorfeld wiederholt ausgesprochenen Bitten um Drehgenehmigung wurden noch nicht einmal beantwortet. Doch wir sind vorbereitet. Immer wieder kommt die Frage auf, warum man hier nicht fotografieren darf, warum die Behörden auf Journalisten und Fotografen so restriktiv reagierten, die dies in der Vergangenheit trotzdem getan haben.
Gibt es etwas zu verbergen? Makohai und Blauhai wird hier neben Schwertfisch und Tunfisch entladen und gehandelt. Die Haifangflotten haben die offizielle Lizenz für den Schwertfischfang. Sie landen oftmals fast ausschließlich Hai an, in erster Linie Blauhai und somit zu 100 Prozent Beifang. Ihre Fanggebiete liegen vor Neufundland/Kanada und im Bereich der Azoren, aber auch vor der Küste Englands.
Die Spanier als mit Abstand größte Haifangnation Europas fangen Blauhai, wo immer ihn die Meeresströmungen an die bis zu 100 Kilometer langen Langleinen mit ihren bis zu 20.000 Haken treiben.
Im Jahr 2012 fingen die Spanier mit ihren Longlining-Flotten alleine im Atlantik 43.000 Tonnen Blauhai und 7300 Tonnen Makohai (ICCAT Report 2013). Ihnen folgt als zweitgrößte Haifangnation Europas Portugal mit vergleichsweise geringen 6150 Tonnen Blauhai und 3500 Tonnen Makohai im Jahr 2012.
In einer der beiden Auktionshallen treffen wir die beiden Polizisten wieder. Sie sind gerade damit beschäftigt, einen Fotojournalisten abzuführen. So können wir unbehelligt weiter vordringen, die versteckte Kamera läuft.
Unser Plan scheint aufzugehen. Im Dreierteam gehen wir auf die Jagd nach Bildern und Informationen. Wolf dreht und fotografiert, während Kristina und ich durch die Hallen schlendern und die Aufmerksamkeit von Wolf weg auf uns lenken.
Wir wurden im Vorfeld gewarnt, niemals stehen zu bleiben und immer geschäftig zu tun, dann fällt man nicht auf.
Das ganze Areal teilt sich in zwei riesige Hallen, wobei die eigentliche Fischauktionshalle die Größe eines Fußballfeldes übertrifft.
Hier wird, soweit das Auge reicht, alles gehandelt, was das Meer hergibt, von Seeteufel über diverse Rochenarten, unter anderem auch Adlerrochen, Conger, Kabeljau und Papageifisch, bis hin zu Oktopus, Lachs, Zackenbarsch, Drachenkopf, verschiedene Makrelenarten und Königskrabben. Die Vielfalt der zur Auktion bereit stehenden Arten und die schiere Größe des Marktes spiegeln die gnadenlose Ausbeutung unserer Meere wieder.
Die angrenzende Großfischhalle, in der die Haie und Schwertfische auf großen Europaletten aufgebahrt sind, ist dagegen vergleichsweise klein. Wir gehen wie selbstverständlich hinein.
Uns verschlägt es den Atem. Ein Geruch von Fisch gepaart mit Ammoniak schlägt uns entgegen. Der Hai ist frisch, doch der Verwesungsprozess setzt durch die Harnstoffe im Haifleisch besonders schnell ein.
Vor uns stehen Dutzende von Paletten mit Blauhaien, Makohaien, Schwertfischen und einigen Tunfischen. Der Anteil an Blauhai überwiegt. Auf den ersten Blick fällt uns auf, dass der Großteil der Haie eine sehr kleine Körpergröße aufweist. Dieses Bild kennen wir schon von den Azoren. Die junge Generation wird abgefischt, ein alarmierendes Zeichen, nun auch hier in Vigo.
Getreu dem Motto, möglichst geschäftig auszusehen, machen Kristina und ich uns daran, die Paletten mit Blauhai zu zählen, während Wolf für Außenstehende gelangweilt an seinem Handy rumfingert. Man sieht ihm nicht an, dass er hierbei mit dem Mobiltelefon die versteckte Kamera steuert.
Da die Betreiber akribisch jede Palette mit Kilozahlen beschriftet haben, können wir die Summe der heute angelandeten Blauhaie recht genau bestimmen. Zwölf Tonnen sind es, vornehmlich nicht geschlechtsreife Jungtiere.
Hinzu kommen zwölf Makohaie und ein paar dutzend Schwertfische, das eigentlich gewollte Ziel des Fangs.
Uns gelingt es schon am ersten Tag, Bilder der Schiffe, der Ladung und auch der Akteure einzufangen. Gegen 7 Uhr verlassen wir, für heute unbehelligt, die Hallen. An den folgenden zwei Tagen werden laut unseres Informanten zwei weitere Schiffe anlegen. Eins kommt wieder von den Azoren, ein anderes nimmt Kurs von Neufundland nach Vigo.
Im Hotel zurück, ist die Datensicherung erst einmal das Wichtigste. Es wäre fatal, wenn bei einer Kontrolle in den kommenden Tagen das komplette Material in die Hände der Polizei fallen würde. Kristina ruft tagsüber diverse Firmen in Vigo und der Umgebung an und bittet um Interviews.
Auch der Sharkproject-Shark Enemy of the Year 2015 ist mit dabei, die Firma PROPEGAL SA, die auf ihrer Internetseite mit einem elfminütigen Werbevideo ihren Haihandel offensiv-unschuldig bewirbt und sich selber als einer der Marktführer im Haiflossenhandel bezeichnet.
Wir erhalten eine unfreundliche Absage. „PROPEGAL und MSC! Das bekommen wir sowieso nicht!“ ist die klare Aussage der Dame am anderen Ende. Worum geht es dabei? Zwei Flottenverbände aus Spanien, CEPESCA und OR.PA.GU., haben das MSC-Siegel für den Blauhaifang beantragt. Nun wollen wir vor Ort wissen, wie das möglich ist, und eine Stellungnahme erhalten.
Alle Firmen, die wir als getarntes, neutrales Kamerateam anrufen, lehnen ein Interview ab oder verweisen auf andere Ansprechpartner. Interviews sind nicht möglich. Man hält sich auch hier bedeckt. Nachfragen sind unerwünscht. Somit bleibt für uns vorerst die Frage offen, was mit geschützten Arten passiert, die unweigerlich auch an den Langleinen hängen.
Als wir das Gelände betreten, erwidert der Pförtner bereits unseren Gruß. In den Hallen bietet sich ein ähnliches Bild. Heute ist es ausschließlich Blauhai, der angelandet wird. Paletten über Paletten, jede im Schnitt mit 600kg Blauhai bepackt, werden in die Halle gekarrt, fangfrisch vom Schiff, draußen bereits gereinigt, und somit fertig für die Auktion.
Schier endlose Reihen schreiten wir ab, zählen und notieren. 653kg / 19 Tiere (groß), 562 kg 95 Tiere (klein), 504 kg/… usw.
Wolf dreht unauffällig und beharrlich professionell, während die Augen der Aufpasser auf dem Treiben von Kristina und mir liegen. Rund 26 Tonnen sind es heute, wenige große Tiere, in erster Linie nur kleinere Tiere. Im Nebengang entdecke ich eine Palette mit fünf Blauhaien vom Vortag, heute bereits Abfall, übrig geblieben und achtlos abgelegt, fertig zur Entsorgung.
Wenig später bemerken wir, dass einer der Aufpasser in der Halle uns beobachtet - und telefoniert. Wir gehen in Richtung Hinterausgang. Aus dem Augenwinkel heraus sehen wir noch, wie ein Polizist die Halle betritt und mit dem Aufpasser redet. Der Mann zeigt in unsere Richtung. Kristina und ich haben die Halle bereits verlassen. Mittlerweile kennen wir den Ort.
Es gibt genug Winkel und Gänge, in denen man sich unauffällig verstecken kann. Der Polizist hält es scheinbar nicht für nötig, uns zu folgen.
Dass man es hier mit dem Artenschutz nicht so genau nimmt, wird uns auch tagsüber in der Nähe des Fischereihafens schnell klar. In einem Souvenirgeschäft, direkt gegenüber dem Kreuzfahrtanleger, werden ausschließlich rote Korallen, Riesenmuscheln, Haigebisse und ganze präparierte Blauhaiköpfe angeboten. Fotografieren ist auch hier verboten! Auf unsere Nachfrage, was für Haiarten das seien, bekommen wir nur die Antwort: „Keine Ahnung, halt Hai!“
Die letzte Nacht in den Auktionshallen bricht für uns an. Eine persönliche alte Bekannte legt an, ein Schiff, das uns aus dem Hafen von Horta auf Faial (Azoren) durchaus gut bekannt ist; die Siempre Juan Luis. Genauso wie zwei weitere Haifänger, die wir im Hafen entdecken, landet sie regelmäßig auf den Azoren an.
Heute entlädt man allein von diesem Schiff acht Tonnen Hai und diverse Schwertfische. Ein weiteres Schiff entlädt ähnliche Mengen. Die Siempre Juan Luis kann bis zu 70 Tonnen Fisch laden. Somit fragen wir uns, wo der Rest der toten Fracht aus dem Bauch des Schiffes bleibt. Eine Frage, die sich uns im Laufe des Tages zufällig beantwortet.
Es gibt eine weitere Hafenanlage mit diversen Hallen in der Bucht von Vigo, fernab der Auktionshallen. Dorthin wird der tiefgefrorene Hai gebracht, nicht öffentlich zugänglich, nur von der Autobahnbrücke über die Bucht einsehbar.
Wir finden dort auch die Longliner-Flotte wieder beim Entladen. Auf Grund unserer Insider-Informationen vor Ort, gepaart mit den Tracking-Daten der Schiffe, kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass die spanische Longlining-Flotte die Azoren als zweites Standbein einer mehrwöchigen Fangtour nutzt, um die Haifanggründe vor Neufundland auszubeuten. Auf dem Rückweg nach Vigo, ihrem Heimathafen, werden dann die Seegebiete unterhalb der Azoren befischt und der Rest der Schiffbäuche frisch gefüllt. Hier liegt die Kinderstube des Blauhais, der dann im frischen Zustand in der Auktionshalle landet.
Wolf wird entdeckt! Einer der Fischer spricht ihn an, als er versucht, Nahaufnahmen mit einer GoPro in der Hand zu machen. Er ist zu unvorsichtig geworden. Uns wird klar, dass drei Tage in Folge am selben Ort irgendwann auffallen müssen.
Nach einem kurzen Wortgefecht, und ehe weitere Fischer reagieren können, verlassen wir fluchtartig die Hallen und verschwinden im Dunkel der Nacht.
Irgendwie schaffen wir es einen unbewachten Nebenausgang aus dem Hafen hinaus zu finden und laufen in die Stadt.
An diesem Tag bekommen wir auch noch die Antwort auf unsere Frage, was mit den geschützten Arten passiert, die an der Longline hängen. Die simple Antwort erhalten wir von einem Wissenschaftler vor Ort:
„Die geschützten Haie, wie Fuchshai, Weißspitzen-Hochseehai oder Hammerhai werden, egal ob noch lebend oder tot, wieder ins Meer zurück geworfen, da sie nicht angelandet werden dürfen.“
Da die Tiere sich dann meistens bereits länger als einen Tag an der Langleine befunden haben, sind sie als Hochseehaie unrettbar zum Tode verurteilt. Was offiziell angelandet wird, ist insoweit legal und entspricht dem EU-Recht. Wir fragen uns, was das mit Nachhaltigkeit und dem MSC-Anspruch zu tun hat, und sind gespannt auf die Entscheidungen des MSC in naher Zukunft.
Tagsüber finden wir noch einmal unseren Weg zurück in den Hafen. Vorbei an den Fangschiffen, aber auch vorbei an still gelegten Longlining-Schiffen. Der spanischen Haifangbranche geht es nicht gut. Der weltweite Preis für Haiflossen ist in den vergangenen zwei Jahren um fast die Hälfte drastisch gefallen.
Der Flossenkonsum ist in Südchina dank umfangreicher Aufklärung um 84 Prozent gesunken, und viele Staaten haben den Handel mit Haiflossen gesetzlich verboten, allen voran Kalifornien mit seiner größten chinesischen Gemeinde außerhalb Chinas.
Trotzdem besteht immer noch eine große Nachfrage an Haiflossen aus Asien.
Da in der gesamten EU seit Juli 2013 alle Haie mit allen Flossen am Körper angelandet werden müssen, entsteht an Land ein riesiger Berg an Haifleisch, den man loswerden muss - früher wurde das Tier ohne Flossen beim „Finning“ einfach auf hoher See ins Meer entsorgt.
Wer konsumiert heute diese Massen an Haifleisch? Die Antwort ist erschreckend: Wir Europäer selbst essen es – hier in Europa!
Deutschland importiert jedes Jahr annähernd 300 Tonnen, vornehmlich Blauhai und Mako. Diese Mengen besteht zum Großteil aus schon verarbeiteten Produkten wie Haifilets oder -steaks, für die weit mehr als 300 Tonnen Haie gestorben sind. Weitere 300 Tonnen Dornhai kommen aus den nordischen Ländern der EU für „Schillerlocken“ dazu. Somit konsumiert Deutschland jährlich weit über 600 Tonnen Hai. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zwar vergleichsweise wenig.
Deutsche Fischhändler verkaufen bis heute Schillerlocken, den Bauchlappen vom Dornhai, obwohl diese Tiere unter Schutz stehen, und die Bestände im Nordatlantik um 95Prozent zurückgegangen sind.
Trotzdem findet sich zum Beispiel in fast jedem Live-Event-Buffet beim „Mongolen“ um die Ecke Hai in der Auslage, oder bei Restaurants, die es immer noch als „Hip“ ansehen. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen wir immer nach Asien verwiesen haben, wenn es um Haikonsum geht.