Das weiß jeder, der beim Briefing auf einer Seelöwen-Tour zuhört. Wissen und lassen ist aber immer zweierlei.
Auf einem der vielen Boote der Cortez Club-Flotte fliegen wir über die glatte See vor der Insel Espiritu Santo, dem Land des Feuers, das oft als Ofen Mexikos bezeichnet wird.
Wenn ein Hurrikan über die aufgeheizte Cortes-See hinwegfegt, wird er vom warmen Wasser mit zusätzlicher Energie aufgeladen, wodurch er noch verheerender wird. Rote Hügel auf der Insel sind dicht mit Kakteen zugestellt. An den steilen Hängen liegt nackter Fels, dessen Struktur von der Faltung der Gebirge erzählt. Die Gesteinsschichten dokumentieren die Erdbewegungen vor Millionen von Jahren, genauso wie den Wasserstand und die Zusammensetzung der Atmosphäre.
Geologen haben hier sicher ihre wahre Freude. Aber auch für den Laien ist die Aussicht auf die umliegende Landschaft faszinierend. An einer Stelle wachsen feurig rote Felsen fast senkrecht aus dem blauen Wasser, während sich an anderer Stelle ein blitzend weißer Sandstrand zwischen die spitzen Steine quetscht. Eine Landschaft, schön wie unwirtlich, Heimat für Möwen, Pelikane und – Millionen von Mücken.
Zur Person
Martin Strmiska war als langjähriger freier Fotograf für unterwasser schon auf der ganzen Welt unterwegs. Für seinen Beitrag über die Seelöwen in der Sea of Cortez wagte er sich erstmals auch ans Schreiben.
Die letzte Felseninsel, die Nordspitze der Bucht von La Paz, steht unter der Verwaltung von Seelöwen und Möwen. Aus La Paz braucht man mit dem Schnellboot etwa eineinhalb Stunden. Die oberen Felsen sind von den Fäkalien der Möwen weiß lackiert, während in den unteren Bereichen flache Steine eine Liegefläche für verspielte, freundliche Meeressäuger bilden: Kalifornische Seelöwen. Mehr als 400 Exemplare dieser gefährdeten Art leben in einer Gemeinschaft mit klaren Regeln und einer strengen Hierarchie. Etwa zehn dominante Männchen herrschen über die Insel und die Gewässer ringsherum. Jedes von ihnen hat sein eigenes Territorium mit aufmerksam bewachten Grenzen, innerhalb derer es seine Souveränität ausübt. In seiner Gruppe hat ein Seelöwenbulle etwa ein Dutzend erwachsener Weibchen, denen kein anderer seine Liebe zum Ausdruck bringen darf. Da gilt absolute Null-Toleranz. Jeder Versuch, sich mit einer »seiner« Frauen zu paaren, führt zum erbitterten Kampf.
Der Rest der Gruppe besteht aus Halbwüchsigen und Babys. In der Kolonie werden jährlich etwa 70 Jungtiere geboren. Im August und September ist die Paarungszeit, im Oktober werden die Nachkommen auf die Welt gebracht. Natürlich ist es kein Zufall, dass Maria und Solimar, zwei Freundinnen aus Brasilien, diese Zeit für ihren Besuch auswählten. Die Spiele der kleinen Seelöwen zu beobachten oder sich gar daran zu beteiligen, ist ein unvergessliches Erlebnis.
Unser Boot liegt etwa 30 Meter vor der Küste der Insel vor Anker. Während die Seelöwen laut quäken, belehrt Divemaster Carlos die Taucher, wie sie sich den Tieren gegenüber verhalten und vor allem, was sie vermeiden sollen. Oberstes Gebot ist es, die Warnung eines dominanten Männchens ernst zu nehmen. Wenn man seinem Felsen oder seinem Weibchen zu nahe kommt, gibt’s die erste Warnung: Das Männchen wird nervös hin und her schwimmen, laut bellen und heftig Blasen ausstoßen. Sollte der Eindringling diese Ermahnung ignorieren, spuckt der Koloss einen Blasenschwall direkt in dessen Gesicht – zweite Warnung. Wenn der Ignorant dann immer noch nicht verstanden hat, mit wem er da tändelt, geht der Bulle auf Körperkontakt, das heißt, man kriegt es mit 200 Kilogramm Lebendgewicht und den fünf Zentimeter langen Reißzähnen zu tun. Vor allem während der Brutzeit gibt es jedes Jahr ein oder zwei Unfälle mit schwerwiegenden Folgen.
Auf der Jagd nach guten Aufnahmen lande ich bald in der »Sperrzone«. Ein großes Männchen gibt mir zu verstehen, dass ich die Grenzen des guten Geschmacks bereits überschritten habe, aber noch akzeptiert er mein aufdringliches Verhalten. Richtig nervös wird er aber, als ich einem seiner Weibchen, das unter einem großen Felsblock liegt und ihn zum Paaren aufruft, nahe komme. Er beschließt, dass meine Anwesenheit nun nicht mehr toleriert wird. Blitzschnell schwimmt er heran und spuckt mir Blasen ins Gesicht. Ein Seehundkuss! Mir bleibt das Herz stehen. Einen solchen Schreck habe ich unter Wasser noch nie bekommen. Okay, okay, ich ziehe mich zurück!
Die verspielten Jungtiere hingegen sind über meine Anwesenheit hoch erfreut. Sanft beißen sie einander, ziehen sich gegenseitig an den Flossen und zeigen Unterwasser-Akrobatik in Perfektion. Dann fordern sie mich auf, bei ihren Spielen mitzumachen. Ich darf ihre Flossen und Bartfäden berühren und ihr dunkles Fell streicheln. Es gibt kaum etwas Anmutigeres unter Wasser zu sehen. Allein für diese Erfahrung lohnt es sich, die weite Reise nach La Paz auf sich zu nehmen!
Die Cortes-See, auch Golf von Kalifornien genannt, ist ein 160.000 Quadratkilometer großes Nebenmeer des Pazifik, das sich wie ein langer Fjord etwa 1100 Kilometer weit zwischen Niederkalifornien (Baja California) und dem mexikanischen Festland ins Landesinnere schiebt. Die Unterwasserlandschaft ist geprägt von Tausenden Inseln, Zinnen und Felsen. Begegnungen mit Seelöwen, Schulen von Hammerhaien, Mantas, Rochen, Mobulas und Walhaien erwarten den Taucher. Aber auch Rifflandschaften mit bunten Schwämmen, Gorgonien, Seepferdchen und Nacktschnecken sind anzutreffen. Whalewatcher kommen ebenfalls auf ihre Kosten: Schweinswale, Grindwale, Killerwale und sogar Pottwale und Buckelwale können hier angetroffen werden.
Anreise: Flug über USA nach San José del Cabo oder La Paz (Atlanta, Dallas) ab 820 Euro, Flug über Mexico City nach La Paz ab 850 Euro.
Hotel-Tipp: Costa Baja Resort & Spa, www.costabajaresort.com
Tauchbasis-Tipp: Cortez Club, www.cortezclub.com